Psychische Gefährdungsbeurteilung

Ausgangssituation

Eine psychische Gefährdungsbeurteilung stellt eine systematische Ermittlung und Bewertung von relevanten psychischen Gefährdungen dar. Sie ist seit Ende 2013 laut Arbeitsschutzgesetz für alle Arbeitgeber verpflichtend durchzuführen. Gefährdungen durch psychische Belastung müssen dabei gleichwertig zu anderen (z.B. physikalischen, chemischen und biologischen) Gefährdungen betrachtet werden. Die psychische Gefährdungsbeurteilung wird hierbei als Präventionsansatz gesehen, welcher arbeitsbedingten Erkrankungen vorbeugt, eigene, aber auch organisationale Ressourcen stärkt und die Arbeit motivierend gestalten soll.

Ziele der psychischen Gefährdungsbeurteilung

In jedem Unternehmen gibt es verschiedene Gefährdungen. Viele davon, wie z.B. das Tragen von schweren Lasten, sind offensichtlich. Psychische Belastungen hingegen sind nicht auf den ersten Blick wahrzunehmen, haben jedoch auf die Gesundheit der Mitarbeitenden großen Einfluss. Hohe Belastungen können beispielsweise zu vermehrten Fehltagen führen. So konnte das Statistische Bundesamt zeigen, dass psychische Erkrankungen 17% der Arbeitsunfähigkeitstage im Jahr 2016 ausmachen und somit nach den Muskel-Skelett-Erkrankungen an zweiter Stelle stehen. Betrachtet man die relative Entwicklung verschiedener Krankheitsarten, die zu Arbeitsunfähigkeitstagen führen, so ist ein Anstieg um ca. 40% der psychischen Erkrankungen zwischen 2010 und 2016 zu erkennen.

Mithilfe der psychischen Gefährdungsbeurteilung sollen diese Belastungen erfasst und ihnen entgegengewirkt werden, sodass das Risiko, welches zum Beispiel durch monotone Arbeiten und damit einhergehender Ermüdung entsteht, gesenkt wird.

Frühzeitig Gefährdungen zu identifizieren kann dabei helfen, krankheitsbedingte Fehlzeiten zu reduzieren und die Motivation sowie die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeitenden zu stärken. So kann insgesamt die Qualität der Arbeit verbessert und die Personalfluktuation gesenkt werden.

Ablauf

Der Ablauf einer psychischen Gefährdungsbeurteilung kann, in Anlehnung an die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, in 6 Schritte unterteilt werden, auf die im Folgenden näher eingegangen wird.

In Schritt 1 werden die teilnehmenden Unternehmensbereiche sowie Personengruppen festgelegt. Wichtig ist hierbei vor allem, die Teilnehmenden über die Ziele, die Vorgehensweise und den Nutzen einer psychischen Gefährdungsbeurteilung zu informieren. Dies kann über verschiedene Informationskanäle im Unternehmen erfolgen. So können Mitarbeitende über Flyer, das Intranet oder Informationsveranstaltungen für die Bedeutung des Themas sensibilisiert werden. Insbesondere sollten im Vorfeld Ängste und Unsicherheiten bezüglich des Prozesses ausgeräumt werden (siehe Teilnehmermanagement).

Zur Ermittlung der genauen Belastung (Schritt 2) können verschiedene Methoden/Verfahren herangezogen und verwendet werden, wobei auch eine Kombination dieser Methoden möglich ist. Das Arbeitsschutzgesetz hat bislang nicht verbindlich festgeschrieben, wie man eine Gefährdungsbeurteilung vornimmt.

  • Ein Beobachtungsinterview wird verwendet, wenn die psychische Belastung anhand von Beobachtungen der Tätigkeit und ergänzenden Interviews mit den dort Beschäftigten ermittelt werden soll. Diese Form der Analyse ist sehr aufwendig, vor allem wenn mehrere Tätigkeiten oder verschiedene Bereiche erfasst werden. Außerdem besteht die Gefahr, dass Situationen beobachtet werden, die nicht repräsentativ sind für den Arbeitsalltag und dadurch eine Verzerrung der Belastungsgefahr stattfindet.
  • In einem Analyseworkshop beurteilen Mitarbeitende, Führungskräfte und Fachleute gemeinsam die psychische Belastung in einem bestimmten Bereich und können für festgestellte Gefährdungen unmittelbar Gestaltungsempfehlungen ableiten. Diese Methode ist für kleinere Betriebe sehr sinnvoll, liefert aber bei größeren Unternehmen kein umfangreiches Bild über psychische Gefährdungen.

Empfehlenswert ist daher eine schriftliche Befragung der Mitarbeitenden, wodurch zum einen ein breites Spektrum an Gefährdungen ermittelt werden kann, zum anderen aber auch Belastungsschwerpunkte identifiziert werden können. Außerdem bietet eine Mitarbeiterbefragung den Vorteil, alle Mitarbeitenden miteinzubeziehen und dadurch Wertschätzung ihnen, aber auch dem Thema Gesundheit gegenüber, zu zeigen. Desweiteren kann ein Fragebogen an spezielle Erfordernisse durch das Hinzufügen von inhaltlichen Blöcken angepasst werden. Wichtig ist, die Anonymität der Befragten zu gewährleisten und den Bearbeitungsaufwand überschaubar zu halten.

In Schritt 3 finden dann die Auswertung sowie die Beurteilung der Ergebnisse statt. Bei einer Befragung können die psychischen Gefährdungen sowohl auf Abteilungsebene als auch auf Unternehmensebene erfasst und zurückgespiegelt werden. Ergebnisse auf Unternehmensebene auszuwerten, ist dann sinnvoll, wenn sich gewisse Belastungen nicht nur auf Abteilungen oder Teams reduzieren, sondern übergreifend vorhanden sind. Dies könnte ein Indiz für eine notwendige organisationale Veränderung darstellen.

Danach erfolgt im Schritt 4 die Maßnahmenentwicklung und –umsetzung, welche in Form von Workshops stattfinden kann. Auf Basis der Ergebnisse der Umfrage werden aktuelle Handlungsfelder im Rahmen eines interaktiven Workshops zunächst identifiziert und vertieft analysiert. Für die identifizierten Handlungsfelder werden dann Maßnahmen abgeleitet und deren Umsetzung geplant. Maßnahmen können sich sowohl auf eine Änderung der Verhältnisse (z.B. der Organisation, Prozesse, Tätigkeiten) beziehen, wie auch auf eine Veränderung des Verhaltens der Mitarbeitenden.

Zu der Pflicht des Arbeitgebers gehört es außerdem, vereinbarte Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen (Schritt 5). Dies schließt die Frage ein, inwieweit sich die Belastungssituation nach der Umsetzung von Maßnahmen verändert hat. Wird beispielsweise von Mitarbeitenden die hohe Anzahl an Unterbrechung oder Störungen als Belastung empfunden, so sollte nach einer festgelegten Frist kontrolliert werden, ob sich diese verringert haben. Hier bietet sich eine Check-Befragung an, die ein Meinungsbild der Mitarbeitenden gut abbilden kann. Auf die Ergebnisse dieser wird dann reagiert, wenn beispielsweise kritische Werte weiterhin vorhanden sind und sich eine Verbesserung hinsichtlich der Belastungsfaktoren nicht abgezeichnet hat.

Im letzten Schritt 6 wird die psychische Gefährdungsbeurteilung dokumentiert. Diese sollte neben der Beurteilung der Gefährdungen, die festgelegten Maßnahmen inklusive der Verantwortlichen und Termine, die Durchführung der Maßnahmen sowie die Überprüfung der Wirksamkeit beinhalten.

Stakeholder

Eine psychische Gefährdungsbeurteilung betrifft alle Bereiche der Organisation, wodurch sich eine große Anzahl an verschiedenen Stakeholdern ergibt. Dies ist neben den Führungskräften und Mitarbeitenden vor allem auch der Arbeitsschutzausschuss, in welchem je nach Größe der Organisation neben dem Betriebsrat, der Betriebsarzt und eine Fachkraft für Arbeitssicherheit sitzen. Hinzu kommen Datenschutzbeauftragte, sowie die Gleichstellungs-, und die Schwerbehindertenvertretung.

Grundsätzlich gilt, sämtliche Personen der Organisation frühzeitig in die Entwicklung der psychischen Gefährdungsbeurteilung miteinzubeziehen, um mögliche Ängste abzubauen und das Commitment zur Teilnahme zu erhöhen.

Inhaltliche Konzeption

In der Befragung der psychischen Gefährdungsbeurteilung sollten sowohl die Anforderungen an die Mitarbeitenden wie auch bereits vorhandene Ressourcen erfasst werden. Ressourcen können dabei helfen, Beanspruchungen zu verringern und sind auf verschiedenen Ebenen identifizierbar. Es kann sich um organisationale Ressourcen (z.B. Tätigkeitsspielraum, Partizipationsmöglichkeiten), um soziale Ressourcen (z.B. Unterstützung durch Vorgesetzte, Arbeitskollegen) oder auch um personale Ressourcen (z.B. Erholung nach der Arbeit) handeln.

Anforderungen und Ressourcen zeitgleich in den Blick zu nehmen hat den Vorteil, Zusammenhänge zwischen diesen zu erkennen.

Klassischerweise findet in den meisten psychischen Gefährdungsbeurteilungen eine Unterteilung der Anforderungen in die folgenden 4 Kategorien statt: Arbeitsinhalte, Arbeitsorganisation, Arbeitsmittel und Arbeitsumgebung. In jeder dieser Kategorie werden dann verschiedene Unterthemen abgefragt. Je nach Organisation könnte eine weitere Anforderung auch in neuen Arbeitsformen liegen. Hier könnte beispielsweise erfasst werden, inwieweit Mitarbeitende mit der zeitlichen Flexibilisierung der Arbeit oder auch mit der Arbeitsform „Home-Office“ zurechtkommen.

Die Erfassung der bereits vorhandenen Ressourcen kann in die möglichen 4 Kategorien Anerkennung, Sicherheit, Bedeutsamkeit und Erholung eingeteilt werden. Ergänzend können soziale Beziehungen in Form von Unterstützung durch Kollegen oder die Führungskraft erfasst werden. Insgesamt bietet sich an eine Befragung zur psychischen Gefährdungsbeurteilung mit max. 60 Items an.

Fazit

Neben der gesetzlichen Pflicht des Arbeitgebers eine psychische Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, bringt diese langfristig den Vorteil mit sich, die Gesundheit und die Leistung der Mitarbeitenden zu erhalten und zu stärken. Verschiedene Methoden können zur Aufdeckung von potenziellen Gefährdungen und der Entwicklung von Maßnahmen verwendet werden.

Eine Gefährdungsbeurteilung ist demnach als ein Kreislauf zu sehen, der in regelmäßigen Abständen wiederholt werden sollte, um eine Verringerung der psychischen Belastungen zu erreichen.

Stärken & Chancen

  • Nachkommen der gesetzlichen Pflicht als Arbeitgeber
  • Kann als präventiver Ansatz psychischen Belastungen entgegenwirken
  • Reduktion der Fehlzeiten im Unternehmen
  • Motivation und Wohlbefinden der Mitarbeitenden kann erhöht werden

Herausforderungen

  • Zusätzlicher Feedbackprozess (kann eventuell auch mit bestehenden Instrumenten wie MAB etc. kombiniert werden).