Kulturbefragungen

Definition und Ziele einer Organisationskultur

Für den Begriff Organisationskultur gibt es zahlreiche Definitionen, welche jeweils unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte setzen.

Die Begriffe Organisationskultur und Unternehmenskultur werden häufig synonym verwendet. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist der Begriff der Organisation umfassender und kann neben einem Unternehmen, auch einen Verein oder eine Behörde beschreiben.

In vereinfachter Form wird Organisationskultur als ein System gemeinsam geteilter Werte, Symbole und Normen innerhalb einer Organisation verstanden. Nach Schein (1985) kann eine Organisationskultur in drei Ebenen unterteilt werden, die miteinander zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen.

Die Grundannahmen beinhalten die grundlegende Vorstellung darüber, wie auf die Umwelt reagiert wird. Diese Grundannahmen sind unbewusst vorhanden, werden meist nicht hinterfragt, sind schwer zu erfassen und lassen sich nur langsam ändern.
Werte und Normen sind nicht direkt ersichtlich, sondern lassen sich nur aufgrund der Artefakte und dem beobachtbaren Verhalten der Mitarbeitenden erschließen. Sie können entweder bewusst formuliert werden oder unbewusst existieren. Mögliche Werte können z.B. Innovation, Ehrlichkeit oder Respekt sein.
Artefakte eines Unternehmens sind sichtbare Strukturen, Prozesse und Verhaltensweisen. Dazu können der Dresscode der Mitarbeitenden, die Architektur des Bürokomplexes, Rituale oder auch offenstehende Bürotüren gehören. Die verschiedenen Ebenen der Organisationskultur stehen dabei zueinander in Beziehung. So wirken sich beispielsweise Werte auf die Artefakte aus. Es lassen sich aber auch über die Veränderung der Artefakte die Werte einer Kultur verändern.

Eine Organisationskultur bietet nicht nur Mitarbeitenden einen Orientierungsrahmen für ihre Entscheidungen und ihr Handeln, sondern nimmt auch Einfluss auf das wahrgenommene Image von Kunden und BewerberInnen (siehe Employer Branding). So kann eine bestimmte Kulturform dazu führen, dass eine bestimmte Gruppe von BewerberInnen mehr oder weniger angesprochen wird.

Die Bedeutung der Organisationskultur konnte für verschiedene Aspekte des Verhaltens von Mitarbeitenden vielfach herausgestellt werden. Dies betrifft beispielsweise den Einfluss kultureller Werte auf das Commitment der Mitarbeitenden, die Arbeitszufriedenheit, das Entscheidungsverhalten und die Effektivität von Führungskräften oder die wahrgenommene organisationale Unterstützung.

Nutzen einer Kulturbefragung

Viele Führungskräfte sehen die Notwendigkeit für Veränderungen, fokussieren dabei jedoch eher auf Prozess-, Produkt-, oder strategische Veränderungen. Oftmals wird hierbei außer Acht gelassen, dass die Organisationskultur einen großen Einfluss auf die Umsetzung einer Veränderung hat, da sie diese aktiv unterstützen oder für die Veränderung hinderlich sein kann. Um die Organisationskultur gezielt steuern und managen zu können, ist jedoch ein fundiertes Wissen über die individuelle Wahrnehmung der kulturellen Werte aus Perspektive der Mitarbeitenden von Nöten. Mithilfe einer Kulturbefragung können Antworten auf Fragen wie „Wer sind wir? Welche Werte sind uns als Unternehmen wichtig?“ gefunden werden. Stärken und Schwächen der Organisationskultur werden sichtbar und dienen als Ansatzpunkte zur Veränderung. Dies ist dann besonders wichtig, wenn Change-Management Maßnahmen ergriffen werden sollen.

Ein weiterer Nutzen einer Kulturbefragung liegt darin, eine mögliche Diskrepanz zwischen postulierten Werten und der Umsetzung dieser Werte in konkreten Verhaltensweisen abbilden zu können („Werden unsere Werte gelebt oder existieren sie lediglich auf dem Papier?“). Dies kann beispielsweise dann hilfreich sein, wenn zwar „Zusammenhalt“ als Wert der Organisation postuliert wird (z.B. im Leitbild der Organisation), die Mitarbeitenden in ihrer täglichen Arbeit aber eher Konkurrenz und Egoismus wahrnehmen.

Ablauf

Eine Befragung zum Thema Organisationskultur kann in die klassischen drei Phasen unterteilt werden: Die Vorbereitungsphase, die Durchführungsphase und die Folgephase.

Vorbereitungsphase

In der Vorbereitungsphase findet die inhaltliche Konzeption des Fragebogens statt. Wichtig ist hier die Wahl eines geeigneten Rahmenmodells der Organisationskultur, das die Werte des Unternehmens adäquat abbilden kann. Werte und die damit assoziierten Wichtigkeiten lassen sich anhand eines breiten Spektrums unterschiedlicher Methoden und Verfahren erfassen. Dazu gehören strukturierte und offene Fragebogeninstrumente oder auch qualitative Ansätze wie Fokusgruppen, ethnographische Methoden oder offene Antwortformate. Projektverantwortliche, Mitarbeitende und ggf. Betriebs- bzw. Personalräte sollten dabei aktiv in die Auswahl der Themenfelder und des Wertemodells miteinbezogen werden. Neben der Erhöhung der Akzeptanz der Befragung, dient die Partizipation der Mitarbeitenden auch dazu, frühzeitig Bedenken und Ängste hinsichtlich eines Kulturwandels zu besprechen.

Das Informieren der Teilnehmenden über Ziele und Abfolge der Befragung  ist ebenfalls Teil der Vorbereitungsphase. Gerade hierbei ist es besonders wichtig, dass die Führungsebene des Unternehmens die Veränderungsnotwendigkeit und die damit entsprechenden Maßnahmen verständlich und glaubwürdig kommuniziert. An dieser Stelle sollte auch die Entscheidung zwischen einer Voll- oder Stichprobenbefragung fallen (siehe Teilnehmermanagement).

Durchführungsphase

In der Durchführungsphase erfolgt die Einladung der Teilnehmenden zur Befragung. Aufgrund der Wichtigkeit des Themas sollten in bestimmten Abständen Erinnerungsnachrichten verschickt werden, um eine möglichst hohe Rücklaufquote zu erreichen. Nach der Erhebung der Daten erfolgt die Auswertung.

Folgephase

Die Folgephase ist geprägt durch die Arbeit mit den Ergebnissen. Basierend auf der Einschätzung der Stärken und der Schwächen der Organisationskultur (Ist-Zustand) werden nun Maßnahmen entwickelt, die ergriffen werden können, um die zukünftige Organisationskultur zu gestalten. Besonders wichtig in dieser Phase ist das Einbeziehen aller Ebenen des Unternehmens. So sorgt ein Workshop, der aus Führungskräften und Mitarbeitenden besteht, dafür, dass zukünftige Kulturmerkmale im Dialog besprochen und demzufolge miteinander abgeglichen werden können.

Im Rahmen des Workshops kann das Ergebnis für einzelne Wertedimensionen betrachtet werden. Hierbei kann der Handlungsbedarf für bestimmte Werte identifiziert werden. In Bezug zum oben beschriebenen Modell der Organisationskultur nach Schein besteht ein Ansatz darin, Artefakte zu verändern, um damit Werte zu verändern. Leitfragen für den Workshop (z.B. anhand des Wertes „Innovation“) können daher z.B. sein: „Woran merken wir selbst, dass in unserer Organisation Innovation wichtig ist?“ „Woran merken es andere?“ „Welche Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, damit wir Innovation stärker umsetzen können?“. Der sich daraus ergebende Handlungsbedarf kann in Aktionsplänen festgehalten werden.

Durch Pulsbefragungen könnte in zyklischen Abständen gemessen werden, ob Veränderungen auch tatsächlich umgesetzt worden sind oder ob eine Anpassung erfolgen muss.

Exkurs: Am Beispiel einer Leitbildentwicklung lässt sich die Bedeutung sowie die Einbettung einer Kulturbefragung gut erklären. So können mithilfe eines Leitbildes gemeinsame Werte, Visionen, Ziele und Verhaltensweisen festgehalten werden, die als Grundlage für ein gemeinsames zukünftiges Handeln dienen und die die Kommunikation erleichtern sollen. Die Durchführung von Fokusgruppen sowie einer schriftlichen Kulturbefragung bieten die Möglichkeit, sowohl qualitativ als auch quantitativ den empfundenen Ist-Zustand, bezüglich der Wichtigkeit von Werten, zu erfassen. Auf Basis dieser Ergebnisse finden dann Workshops statt, in denen Mitarbeitende und Führungskräfte die Ergebnisse reflektieren und aktiv Leitsätze entwickeln. Beispielsweise können folgende Leitsätze formuliert werden: „Wir geben uns gegenseitig konstruktiv Feedback.“ oder „Wir verbessern ständig unsere Qualifikationen und unsere Fachkompetenz.“. Die Entwicklung von Leitsätzen findet auf Basis eines zuvor ausgewählten Rahmenmodells kultureller Dimensionen statt.

Stakeholder

Da die Organisationskultur alle Bereiche der Organisation betrifft, gibt es eine große Anzahl verschiedener Stakeholder. Dies schließt neben den Führungskräften und Mitarbeitenden auch den Betriebsrat, den Datenschutzbeauftragten, sowie die Gleichstellungs-, und die Schwerbehindertenvertretung mit ein. Vertretungen der einzelnen Stakeholdergruppen sollten dabei die Möglichkeit bekommen, an der Gestaltung der Kulturbefragung mitzuwirken.

Inhaltliche Konzeption

Die Vielzahl an Organisationsmodellen und kulturellen Dimensionen erschwert die Auswahl geeigneter Instrumente. So konnten beispielsweise über 70 Instrumente zur Erfassung von Organisationskultur und über 100 enthaltene kulturelle Wertedimensionen identifiziert werden. Folglich ist die Analyse einer Organisationskultur mit einigen Schwierigkeiten verbunden.

Die Erfassung und Ermittlung von organisationskulturellen Werten und die damit verknüpfte Wahrnehmung von Wichtigkeiten und Prioritäten aus Sicht der Beteiligten ist eine oft vorzufindende Herausforderung, da die Befragten häufig alles als „wichtig“ bewerten. Hierbei sollte auch die Frage aufgegriffen werden, in welchem Zusammenhang Werte zueinander stehen und ob diese möglicherweise sogar widersprüchlich sind. Außerdem liegt eine weitere Herausforderung darin, die erfassten organisationskulturellen Wertedimensionen theoriegeleitet zu verschiedenen Kriterien (wie Arbeitszufriedenheit, Commitment etc.) und zum (Markt-)Umfeld der Organisation in Beziehung setzen zu können.

Aufgrund dieser zahlreichen Anforderungen an eine Befragung, sollte zur expliziten Erfassung von organisationskulturellen Werten und deren Wichtigkeit ein strukturiertes Rahmenmodell zugrunde gelegt werden, welches systematische Ableitungen für die Gestaltung entsprechender Interventionen ermöglicht.

Fazit

Kulturbefragungen können als Ausgangspunkt dienen, sich näher mit den organisationalen Werten und der Organisationskultur auseinanderzusetzen. Hierbei können wahrgenommene Diskrepanzen zwischen der Ist-Kultur und der für den Unternehmenserfolg erforderlichen Soll-Kultur identifiziert werden, auf dessen Basis dann ein Folgeprozess stattfinden kann. Die Weiterentwicklung einer Organisationskultur sollte dabei als kontinuierlicher Prozess verstanden werden, der Zeit, Ressourcen und Entschlossenheit braucht.

Stärken & Chancen

  • Organisationskultur hängt sowohl direkt wie auch indirekt mit dem Unternehmenserfolg zusammen
  • Eine Kulturbefragung hilft dabei die Diskrepanzen zwischen „Welche Werte wollen wir vertreten?“ und „Welche Werte werden tatsächlich gelebt?“ zu identifizieren

Herausforderungen

  • Kulturbefragungen führen unausweichlich zu Kulturveränderungen, was einen Folgeprozess unbedingt erforderlich macht
  • Es sollte ein strukturiertes Rahmenmodell organisationskultureller Werte zu Grunde gelegt werden